Die 853 von Ludwig dem Deutschen gegründete und seiner Tochter Hildegard geschenkte Abtei spielte in Zürich über all die Jahrhunderte eine wichtige – wenn auch mit der Zeit im Schatten des Grossmünsters stehende – Rolle.[i] Die Klosterfrauen adliger Herkunft lebten nach der Benedikts-Regel. Nach der Gründung wurde ein stattlicher Klosterbau mit Kirche errichtet. Nachdem die Karolinger 1218 ausgestorben waren, zog Friedrich II die Kirchenvogteien an sich und verlieh der Fraumünster-Äbtissin den Rang einer Reichsfürstin und damit Stadtherrin; sie ernannte den Schultheissen, verlieh das Münz- und Zollrecht, bestimmte Münzfuss und Masse und verwaltete den Pfennig-Stempel. Mit der Zeit verlor die Abtei an Bedeutung, und immer weniger Frauen bewohnten das Kloster. Im Zuge der Reformation übergab Katharina von Zimmern, die letzten Äbtissin, im Dezember 1524 das Kloster der Stadt Zürich, welche so die Abteiwirtschaft ohne grosse Umstellungen weiterführen konnte. Die Kirche hatte damals zwei Türme.[ii]
Die Stadt räumte die vorreformatorische Kirchenausstattung aus, liess den Sockel des Hochalters und die Orgel abbrechen und richtete einen «cristennlichen tëmpel nach unnserer religion» her. Im Verlauf der Zeit wurde die Kirche aus- und umgebaut; 1716/17 wurde ein völlig neues Gebäude errichtet; es war Teil der Umgestaltung des Münsterhofs und seiner Umgebung im 18. Jahrhundert. 1803 übernahm der Kanton die Kirche. Im Zuge des Aufkommens der Industrie erfuhr die Stadt eine starke bauliche Entwicklung. Im Bereich des Fraumünsters wurden 1830 die Poststrasse und 1834 die Münsterbrücke erbaut, 1836 – 1840 wurde auf dem ehemaligen Werkhofareal das erste Postgebäude errichtet und in den 1860er Jahren die Bahnhofstrasse angelegt. 1898 riss man die ehemaligen Konventbauten und den Kreuzgang ab; an deren Stelle entstand das Stadthaus von Stadtarchitekt Gustav Gull.
Die Kirchgemeinde nahm nun eine grosse Restaurierung der Kirche in Angriff.[iii] Sie beruhte auf einem Gutachten des Kunsthistorikers Johann Rudolf Rahn und wurde nach mehrmals abgeänderten und redimensionierten Plänen von Gustav Gull ausgeführt. Am 20. Oktober 1912 wurde die Kirche eingeweiht. Im gleichen Jahr übernahm die Kirchgemeinde die Liegenschaft vom Kanton Zürich – und damit auch die finanzielle Verantwortung für den Umbau, dessen Kostenbudget wegen unerwarteter baulicher Schwierigkeiten schliesslich um mehr als die Hälfte überschritten wurde. Die Kirche erhielt damals die Gestalt, wie wir sie heute kennen. «Es ist nicht zu übersehen, dass sich in der Fraumünster-Gemeinde mit Friedrich Otto Pestalozzi-Junghans (1846 – 1940) aus der am Münsterhof eingesessenen Familie eine Persönlichkeit mit grossem Wissen, Kompetenz und Geschick auch auf politischer Ebene beharrlich und verantwortungsbewusst und mit totalem Engagement für die Restaurierung des Fraumünsters einsetzte. Er war als Präsident der Kirchenpflege und nachher als Präsident der Baukommission die treibende Kraft über all die Jahre hinweg.»[iv]
Friedrich Ottos Urgrossvater und Grossvater mütterlicherseits, Johann David Wiser und Heinrich Wiser-Balber, waren beide Fraumünster-Amtmänner; sein Vater Rudolf Alexander Perstalozzi war Kirchenpflege-Präsident. Sie führten ihre Eisenhandlung – die nachmalige Pestalozzi & Co. – von 1788 an in Räumlichkeiten, welche an die Aussenmauer der Kirche angebaut waren und von der Stadt vermietet wurden; ab 1835 wurden Liegenschaften auf der anderen Seite des Münsterhofes erworben, in welchen zuerst die Familie wohnte, dann aber auch Büros und Lager eingerichtet wurden.
Als der Zürcher Kirchenrat 1988 die «Dekade der Solidarität der Kirchen mit den Frauen» ausrief, bildete sich eine Arbeitsgruppe, welche einer Frau, die Zürichs Geschichte geprägt hatte, ein Denkmal setzen wollte.[v] Die Wahl fiel auf Katharina von Zimmern. Ueber sie wurde ein Buch geschrieben; ihr wurde ein Denkmal gesetzt. Präsidentin des dafür gegründeten Vereins war Jeanne Pestalozzi-Racine. Der Verein erteilte der Künstlerin Anna-Maria Bauer den Auftrag für eine Skulptur aus 37 Kupferblöcken, die im Kreuzgang aufgestellt und 2004 in Anwesenheit von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey eingeweiht wurde. Auf einem Spruchband am Boden steht in den Worten von Katharina von Zimmern, was sie zur Uebergabe des Klosters bewegt hatte: «Die Stadt vor Unruhe und Ungemach bewahren und tun, was Zürich lieb und dienlich ist.» Finanziert wurde die Skulptur mittels ausdauerndem fund raising.
Auch heute wird das Fraumünster durch Mitglieder der Familie besucht, sei es für Konzerte, für Gottesdienste, Taufen, Hochzeiten oder für Trauerfeiern. Einzelne Pestaluzzen waren und sind Mitglieder des Fraumünster-Vereins, dessen Zweck in der Unterstützung des Gemeindelebens dieser Predigtkirche besteht.
Dieter (Mü)
[i] Angaben zu diesem kurzen geschichtlichen Ueberblick aus Christine Barraud Wiener, Diesseits und jenseits der Limmat, in: Das Fraumünster in Zürich, Von der Königsabtei zur Stadtkirche, Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Band 80, Zürich 2012, S. 15 ff.
[ii] So auf dem Altarbild von Hans Leu dem Älteren um 1500, Abegg/Barraud Wiener, Kunstdenkmäler Zürich II.I, S. 65
[iii] Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Esther Nievergelt-Albrecht, Vor 100 Jahren, Die grosse Restaurierung des Fraumünsters aus Sicht der Gemeinde, in: Das Fraumünster in Zürich (s.o.), S. 189 ff.
[iv] ebd. S. 198
[v] sh. Irene Gysel, Zürich entdeckt das Fraumünster und Katharina von Zimmern, in: Das Fraumünster in Zürich (s.o.), S. 13 f.